....und wenn der Schmerz zu groß wird....

16.11.2013 21:30
 

Egal in welchem Social Network man unterwegs ist, überall wird man mit dem Thema "Ritzen" konfrontiert. Ich habe mich immer gefragt, warum sich jemand selbst verletzt. Was muss in einem vorgehen, wenn man sich selbst Schmerzen zufügt? 

Nun, ich muss euch kurz etwas über mich erzählen: meine Freunde sind der Meinung, dass ich übersensibel und überempfindlich bin, dass ich mir alles viel zu sehr zu Herzen nehm und über alles und jedes tage- und nächtelang nachgrübel. Ja, sie haben wirklich recht. Ich erinner mich an Gespräche, die ein anderer schon längst vergessen und verdrängt hat, ich erinner mich an jedes Wort, dass mich verletzt hat. Ich weine sogar bei Schicksalschlägen, die Leute betreffen, die ich nicht einmal kenne. Ich hatte schon oft Situationen, wo ich dachte, es geht nicht mehr weiter, aber noch nie war ich so verzweifelt, um mich selbst zu verletzen. Bis jetzt.....

Ich bin leider sehr oft krank,  mein Immunsystem ist nicht das Beste. Es war ein ziemlich schrecklicher Sommer, wo ich mich kaum erholen konnte, das Schuljahr begann auch sofort mit Stress und von meinem Beziehungs- und Privatleben brauch ich auch gar nicht zu reden.

Wieder hatte es mich erwischt, es war eigentlich kein günstiger Augenblick um krank zu werden - aber sag das bitte meinem Körper. Ich hatte ziemlich starke Schmerzen bekommen , musste Antibiotika nehmen. Ich konnte die ersten Tage wirklich keine halbe Stunde wach bleiben und ich vertrug die Medikamente nicht. Natürlich war ich nicht in der besten Laune und ich denke jeder, dem es mal körperlich schlecht ging, weiß wovon ich rede. Ich hätte mir so sehr gewünscht, dass der Mensch den ich am meisten liebe,  mich am besten verstehen würde. Leider war er selbst grade in einer schwierigen Situation und so eskalierte das Ganze. Er konnte mein "Zickigsein" nicht verstehen und ich seine "Gefühllosigkeit" zu meinem Befinden.

Ich begann mich zu hassen und alle Schuld auf mich zu nehmen. Ich versank in Selbstmitleid. Ich zitterte, weinte, war wütend - mal auf mich,  mal auf ihn. 

Nach einer Zeit schleppte mich wieder mal ins Bad - auf dem Weg dahin musste ich mich zweimal hinsetzen, um nicht umzukippen - und als ich mir kaltes Wasser ins Gesicht klatschte, fiel mein Blick auf den Rasierer meines Stiefvaters. Ich setzte mich auf die Badewanne und hielt ihn lange in der Hand. mit der Fingerkuppe strich ich über die Klinge - nichts geschah. Dann löste ich die Klinge aus dem Rasierapparat. Als ich nochmals drüberstrich entstand ein kleiner Schnitt. Nur ganz fein, ich verspürte wieder nichts. Um den seelischen Schmerz abzutöten,  musste ich also fester schneiden. Ich zog meinen Ärmel der linken Hand hinauf und setzte an. Ich bin nicht die Mutigste, aber in dem Moment dachte ich nicht nach und es passierte - der erste Schnitt. Es war nur ein oberflächlicher Schnitt, aber es blutete ein bisschen. Noch einmal setzte ich an, ein bisschen fester und ich verspürte etwas.....es war als ob ein kleiner Stein von meinem Herzen fiel. Ja, ich hatte das Gefühl, dass es mir besser ging, der Druck war plötzlich weg.  Ich schloß die Augen und Tränen liefen mir übers Gesicht. Ich war geschockt, fasziniert und verstört,  aber nun verstand ich es....... Es war ein einmaliges Erlebnis und ich weiß dass es keine Lösung für Probleme ist. Es ist nur eine kurzfristige Entspannung einer seelischen Qual. Das zu Erkennen war die wichtigste Lektion an der ganzen Sache.

Gründe:

Mit selbstverletzendem Verhalten (SVV) oder autoaggressivem Verhalten beschreibt man eine ganze Reihe von Verhaltensweisen, bei denen sich betroffene Menschen absichtlich Verletzungen oder Wunden zufügen. SVV kann der Selbstbestrafung dienen. Es sind überwiegend Mädchen die keinen anderen Ausweg sehen und sich selbst verletzen. Mädchen gelten als ruhiger, fürsorglicher und „lieber“ als Jungen. Zumindest wird das von ihnen erwartet. Aggressionen und Ärger fressen Mädchen daher eher in sich hinein als Jungs. Gerade in der Pubertät, wenn die Gefühle verrückt spielen, können Mädchen ihre Wut und Stimmungen nicht so gut rauslassen wie Jungs. Vor dem Ritzen fühlt jedes Mädchen etwas anderes. Manche wollen sich bestrafen, weil sie wütend auf sich selbst sind. Andere fühlen sich zerrissen oder wollen die Endorphin-Ausschüttung, die beim Schneiden entsteht - oder sie wünschen sich Aufmerksamkeit. Nach dem Ritzen aber spüren die meisten das Gleiche: Erleichterung. "Weil der Druck, der sich aufgestaut hat, nachlässt". Daher werde das Ritzen als Lösungsweg erlernt - und oft sogar zur Sucht.

Was versteht man darunter:

  • das Aufschneiden, Aufkratzen oder Aufritzen (sogenanntes Ritzen) der Haut an den Armen und Beinen mit spitzen und scharfen Gegenständen wie Rasierklingen, Messern, Scheren oder Scherben; eine Häufung der Narben ist am nicht-dominanten (Unter-)Arm zu finden, aber auch beide Arme können von Narben übersät sein, wie auch zum Beispiel Bauch, Beine, Brust, Genitalien oder das Gesicht.
  • Es steht fest, dass eine Gewöhnung stattfindet, die extremere Selbstverletzungen nach sich zieht (tiefere Schnitte, großflächigere Verbrennungen), um die gesuchte Befriedigung zu erreichen.

Wer ist am häufigsten betroffen:

  • ab ca. 11 bis 16 Jahre: 34 %
  • 16 bis 18 Jahre: 29 %
  • 18 bis 20 Jahre: 17 %
  • 20 bis 24 Jahre: 13 %
  • über 24 Jahre: 7 %

Wo erhalte ich Hilfe:

Wenn es schon zur Sucht geworden ist und du es alleine nicht mehr schaffst aufzuhören, dann wende dich bitte an jemanden, den du vertraust. 

* Rat auf Draht anrufen: Telefonnummer 147

* mein-Kummerkasten.de

* rotelinien.de